Das Feld der Geschichte

Das 15. Historikertreffen in Blois stellt eine Besonderheit französischer Geschichtskultur dar, die in Deutschland weitgehend unbekannt ist. Die Teilnahme am Integrierten Studiengang Geschichte der Universitäten Bochum und Tours ermöglicht uns, eine doppelte Perspektive einzunehmen: Erstens kommentieren wir die Beiträge im Rahmen der UE découverte. Zweitens erhalten wir einen neuen Zugang zur französischen Historiographie, um diese mit der deutschen Geschichtswissenschaft zu vergleichen.

mardi 13 novembre 2012

Faschismus, Kommunismus und das grundsätzliche Problem der Totalitarismustheorie

L'article suivant traitant du débat „Fascisme et Communisme. Actualité d'une comparaison“, va d'abord démontrer qu'il s'agissait d'une discussion sur la théorie du totalitarisme voire d'une confrontation de Pierre Laurent avec cette notion. Dans un deuxième temps, il est question de la critique d'une telle notion notamment au niveau du révisionnisme historique, utilisée notamment par l'extrême droite allemand pour relativiser les crimes du Reich. Finalement nous proposerons pour élargir le débat de l'enrichir avec l'approche des recherches sur les génocides pour mieux comprendre les caractéristiques structurelles de la violence nazie ou stalinienne.

Kommentar zur Debatte „Fascisme et Communisme: Actualité d'une comparaison“ unter der Leitung von Jean Birnbaum (Le Monde des Livres) mit Sophie Coeuré (Maître de conférence an der ENS), Romain Ducoulombier (Forscher am Centre d'histoire der Science Po), Nicolas Werth (Directeur de recherche am SNRS-IHTP, Mitautor des Werkes „Das Schwarzbuch des Kommunismus – Unterdrückung, Verbrechen und Terror“) und Pierre Laurent (Nationalsekretär der PCF und Vorsitzender der Europäischen Linken).
Die Debatte, angekündigt als ein Gespräch über den Vergleich zwischen Kommunismus und Faschismus, wurde, ob geplant oder nicht, zu einer Diskussion über die Totalitarismustheorie, bzw. mündete größtenteils in eine Debatte über diese Theorie. Das Problem, welches sich dabei grundsätzlich ergibt und welches sich auch immer wieder stellen wird, ist die politische Tragweite, bzw. die politisierende Verwendung des Konzeptes als Kampfbegriff in der Auseinandersetzung politischer Opponenten. Pierre Laurent wies treffend darauf hin, dass von Seiten der UMP im Vorfeld der französischen Präsidentschaftswahlen 2012 der Front de Gauche eine fundamentale Nähe zum Faschismus zugesprochen wurde: Ein Beispiel für die Ambivalenz eine Theorie, die als methodische Anleitung zum Vergleich politischer Systeme bezeichnet werden könnte, dies aber niemals allein, sondern immer auch ein politisches Instrument war.
Es ist natürlich einzuwenden, dass ein Vergleich zweier politischer Systeme grundsätzlich nicht falsch ist, doch gerade dabei stellt sich die Frage nach der Angemessenheit der Methode. Die Totalitarismustheorie eignet sich insofern nur bedingt als historisches Instrument, da mit ihr eine systematische Nähe zwischen Faschismus und Kommunismus (respektive „real existierendem Sozialismus“) nicht nur postuliert wird sondern schon als a priori existent vorausgesetzt wird. Insofern ist der historiographischen Verwendung dieses Konzeptes entgegenzuhalten, dass es sich außerordentlich gut für die Erringung politisch-kultureller Deutungshoheit der Vergangenheit instrumentalisieren lässt und dies auch geschehen ist. Exemplarisch anzumerken bleibt dabei, dass Romain Ducoulombier, als Verfechter der Totalitarismustheorie, Ernst Nolte mit der bekannten These zitierte, dass der Holocaust als Reaktion auf den Gulag zu betrachten sei. Er demonstrierte damit eine in Deutschland seit Nolte vor allem im rechten Lager verbreitete Manier, mit Hilfe solcher vereinfachender Kausalketten die Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren und den Schuldvorwurf an die Adresse des Kommunismus weiterzureichen. Letzteres zeigt sich deutlich, wenn sich die Vergleiche wie auch in der Publikumsdebatte am Ende der Diskussion auf Opferzahlen oder die Grausamkeit der Verbrechen beziehen: Diese Form der Debatte ist weder historisch angemessen noch bietet sie die nötige wissenschaftliche Distanz zum Thema. Es geht dabei lediglich um eine moralisierende Hierarchisierung des Schreckens, in den meisten Fällen verbunden mit den beschriebenen mit politischen Absichten. Gerade der schlaglichtartige und auch gerne von der deutschen Rechten angebrachte Vergleich „Hitler: 6 Millionen, Stalin: 20 Millionen“ greift dabei viel zu kurz.1
Der Gewaltakt selber, seine strukturellen Merkmale, seine Ideen- und sozialgeschichtlichen Hintergründe und die moralische Konsequenz treten dabei in den Hintergrund, die Opfer werden instrumentalisiert und wie Eichmaße in Waagschalen geworfen – mit der Konsequenz historischer und moralischer Relativierung.
In der Diskussionsrunde wurde auf diese Gefahr im Prinzip nicht hingewiesen und diese navigierte daher an einigen Stellen (besonders in der Diskussionsrunde mit dem Publikum) am Rande des unreflektierten Populärrevisionismus. Es entstand als Konsequenz der Eindruck, dass es in erster Linie darum ging, den Nationalsekretär der PCF mit der Totalitarismustheorie zu konfrontieren, bzw. der PCF eine relativ enge Verbindung zu Moskau (Implikation: zum Stalinismus) zur Zeit der UdSSR nachzuweisen. Dies muss Thema einer historischen Untersuchung sein, allerdings war hier der politisierende und auch moralisierende Aspekt zu präsent, als dass sich eine wissenschaftliche Debatte hätte entwickeln können.
Gerade die überaus unvorsichtige und vorschnelle Verwendung des Genozidbegriffs in dieser Diskussion, die Orientierung an Opferzahlen und deren rein instrumentalisierende Verwendung, verstärkte den Eindruck, dass es vielmehr um eine Verteidigung der Totalitarismustheorie ging und nicht darum, neue, differenziertere oder wissenschaftlichere Kriterien im historischen Vergleich heranzuziehen. In der Diskussion wurde nämlich nicht beachtet, dass der Genozidbegriff als eine Form der Beschreibung der Struktur kollektiver Gewalt die Totalitarismustheorie ergänzen bzw. sogar zum entscheidenden Differenzkriterium in diesem müßigen, moralisierten Streit werden kann. Es kann nicht die Aufgabe dieses Artikels sein, diese Problemstellung zu lösen und doch soll die hier angefügte Definition von Prof. Dr. Mihran Dabag (Institut für Diaspora und Genozidforschung der Ruhr-Universität Bochum) als Denkansatz dienen, die Strukturcharakteristika kollektiver Gewalt im Dritten Reich und in der UdSSR zu untersuchen.
Genozid schließlich wäre die mit dem ausgesprochenen Ziel der Extermination geplante und ideologisch begründete Auslöschung einer spezifischen Bevölkerungsgruppe als solcher aus der Mitte einer Gesellschaft mit der Absicht den visionären Selbstentwurf einer homogenen Gesellschaft in Identität von Volk, Kultur, Territorium und Herrschaft durch die Vernichtung des als nicht-integrierbar definierten ‚Anderen‘ in kürzester Frist zu verwirklichen. Genozid ist somit ein gesamtgesellschaftliches, jeweils singulares Verbrechen, das sich in national spezifischen Transformationsprozessen vollzieht.“2

1 Homepage der NPD Hamburg: Wie schlimm waren die kommunistischen Verbrechen wirklich?, 25.2.2012 (http://www.npd-hamburg.de/aktuelles/nachrichten/wie-schlimm-waren-die-kommunistischen-verbrechen-wirklich-25022012_1690.html abgerufen am 29.10.2012). Oder: Homepage der NPD-Fraktion Mecklenburg-Vorpommern: Schluss mit dem Schuldkult, 1.2.2012 (http://www.npd-fraktion-mv.de/index.php?com=news&view=article&id=1080&mid=8 abgerufen am 29.10.2012).
2 Dabag, Mihran: Modern Societies and Collective Violence. The Framework of Interdisciplinary Genocide Studies, in: Genocide. Approaches, Case Studies, and Responses, hrsg. von Graham C. Kinloch und Raj P. Mohan, New York 2005, S. 37-63, hier S. 42f.



Jan Kellershohn, David Spieker, Yvonne Gacki, Marco Kampa, Simon Glöckner

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